Artenschutz in der Vorhabenzulassung im Konflikt mit der Energiewende am Beispiel des Rotmilans

Artenschutz vor Energiewende? Durch die Einschränkung des naturschutzrechtlichen Tötungsverbotes könnten Artenschutz und Energiewende einen gerechten Ausgleich erfahren.

Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es u.a. verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Art nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten. Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), dass das Tötungsverbot individuenbezogen zu prüfen und einer populationsbezogenen Relativierung unzugänglich ist. Dies bedeutet, dass nicht an die Erhaltung der Art angeknüpft wird, sondern schon die Schädigung einzelner Tiere den Verbotstatbestand erfüllt. Neben den Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG verlangt das BVerwG weiterhin als einschränkendes Kriterium, dass sich das Kollisionsrisiko für Exemplare der betroffenen Art in signifikanter Weise erhöhe (BVerwG, Urt. v. 18. 03. 2009 – 9 A 39/07).
Ob ein signifikantes Tötungsrisiko vorliegt, hängt u.a. von der Tierart selbst ab. Die so genannten R-Strategen mit einer hohen Reproduktionsrate und einer kurzen Lebensdauer sind anders zu bewerten als die K-Strategen mit einer niedrigen Reproduktionsrate und einer langen Lebensdauer. Zu letzterer gehört auch der Rotmilan, der als geschützte Vogelart i.S.d. § 44 BNatSchG seine Horste u.U. im Einzugsbereich von geplanten Windkraftanlagen hat. Aufgrund der niedrigen Reproduktionsrate (Geschlechtsreife erst nach drei oder vier Jahren), seien die Einzelverluste populationsrelevant (BVerwG, Urt. v. 26. 02. 2008 – 7 B 67.97; VG Kassel, Urt. v. 08. 05. 2012 – 4 K 749/11.KS). Daneben sind aber auch räumliche Aspekte von Bedeutung. Neben der Verbreitung der Art im Raum sind die Anzahl der vorkommenden Individuen sowie die Bedeutung der vorkommenden Habitate bzw. Habitatfunktionen zu berücksichtigten, wobei jeweils eine Beurteilung im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen ist. Als Hilfestellung dienen u.a. die Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW), die artspezifische Abstände für Vogelarten benennen. So wird von der Windkraftanlage zu den Brutgebieten des Rotmilans ein Abstand von 1000 m empfohlen. Sofern dieser bei der Prüfung der Windenergieanlagen eingehalten werde, bestehe keine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos. Neben dem Ausschlussbereich von 1000 m um einen Rotmilanhorst, soll aber auch ein Nahrungshabitat (= der zur Nahrungssuche dienende Bereich) im Prüfungsbereich von 6000 m um das Vorhaben zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko i. S. d. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und damit zum Ausschluss der Genehmigung für Windenergieanlagen führen (VGH Kassel, Beschl. v. 17. 12 2013 – 9 A 1540/12.Z; VG Kassel, Urt. v. 08. 05. 2012 – 4 K 749/11.KS; ThürOVG, Urt. v. 12. 10. 2009 – 1 KO 372/06).
Die Vorgaben der LAG VSW stoßen bei Sachverständigen auf Kritik. So seien etwa pauschale Abstände zu Horsten wenig sinnvoll, weil manchmal nur etwa die Hälfte der im Sommer zurückkehrenden Rotmilane ihre Horste vom Vorjahr wieder aufsuchen. Auch könne ein Abstand von 1000 m zu gering sein, wenn der Windpark genau in der Richtung liegt, zu der ein Vogel zum Jagen fliegt. In einer 2012 veröffentlichten Studie haben Gutachter drei Jahre lang die Auswirkungen von Windenergieanlagen auf verschiedene Vogelarten untersucht. Ergebnis dieser Untersuchung war, dass die Windräder keinen Einfluss auf die Populationsgröße, die Nahrungssuche und das Brutverhalten hatten. Eine andere Studie stammt aus der Region Paderborn, in der es bei einer sehr hohen Dichte an Windrädern mit 70- 80 Brutpaaren eine der höchsten Rotmilandichten in Deutschland gibt. Die Population des Rotmilanbestandes ist in fünf Jahren bei gleichzeitigem Ausbau der Windenergie weitgehend gleich geblieben.
Letztlich lässt sich sagen, dass das Signifikanzerfordernis zwar eine sinnvolle Beschränkung des Tötungsverbotes darstellt, die genauen Parameter zur Bestimmung der Signifikanz aber einer weiteren Konkretisierung bedürfen. Um sachwidrige Ergebnisse zu vermeiden sollten von potenziellen Windkraftbetreibern freiwillig und rechtzeitig Daten erhoben werden.