Probleme bei der Zulassung von Tierhaltungsanlagen in FFH-Gebieten – Abschneidekriterium und Bagatellgrenze für Stickstoffdepositionen

Soll eine Tierhaltungsanlage in einem FFH-Gebiet errichtet werden und besteht die Möglichkeit erhöhter Stickstoff-oder Schwefeldepositionen, muss dieses Vorhaben am Maßstab des § 34 BNatSchG überprüft werden.

Ein Vorhaben ist unzulässig, wenn es zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinem für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgebenden Bestandteile führen kann (§ 34 Abs. 2 BNatSchG). Bei Luftschadstoffen, die nicht nur direkt über die Luft auf Ökosysteme wirken, sondern diese auch nach ihrer Ablagerung schädigen (= Depositionen) bestimmt sich diese Gebietsverträglichkeit nach dem System der „Critical Loads“ (= kritische Eintragsraten). „Critical Loads“ sind naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen, in Bezug auf Stoffeinträgen für Ökosysteme, Teilökosysteme und Organismen bis hin zu Materialien wie z.B. Natursteinen. Sie werden für die Wirkung von Luftschadstoffen auf unsere Umwelt ermittelt und erlauben die Gegenüberstellung der Belastbarkeit eines Ökosystems mit aktuellen atmosphärischen Stoffeinträgen. Wie bei einer Waage werden der betrachtete Stoff und ein unschädlicher Austrag gegenübergestellt. Ist diese Waage ausgeglichen, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der jeweilige Lebensraum über einen langfristigen Zeitraum von 10 bis 100 Jahren schädlichen Umweltauswirkungen ausgesetzt ist (Streffer et al., Umweltstandards. Kombinierte Expositionen und ihre Auswirkungen auf den Menschen und seine Umwelt, 2000, S. 265; Balla, NuL 2005, 169 (172)). Eine derartige Beeinträchtigung liegt nach ständiger Rechtsprechung auch nicht vor, wenn sich die Grenzüberschreitung noch innerhalb der Bagatellschwelle von 3% befindet (BVerwG, Urt. v. 14. 4. 2010 – 9 A 5/08; OVG Münster, Urt. v. 01. 12. 2011 – 8 D 58/08.AK). Dabei sei auch nicht nur eine einzige Tierhaltungsanlage zu berücksichtigen, sondern alle Vorhaben mit ihren Einwirkungen auf das Gebiet – es gilt also eine kumulative Betrachtungsweise (OVG Münster, Urt. v. 01. 12. 2011 – 8 D 58/08.AK).

Derweilen wird die Zulässigkeit von Tierhaltungsanlagen in der Rechtsprechung hinsichtlich der Stickstoffdepositionen auch durch ein Abschneidekriterium begrenzt, d.h. dass alle Werte unterhalb einer bestimmten Schwelle unberücksichtigt bleiben. Generell wurde vom BVerwG bisher ein Abschneidekriterium von 0,3 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr bzw. von 3% des Critical Loads angenommen (BVerwG, Urt. v. 24. 04. 2014 – 9 A 25/12; siehe auch OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 04. 2016 – 7 KS 35/12; VGH Kassel, Urt. v. 25. 02. 2016 – 9 A 245/14). Das OVG Münster hat jedoch neuerdings entschieden, dass ein Stickstoffdepositionswert kleiner als 0,05 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr grundsätzlich nicht betrachtet werden soll (OVG Münster, Urt. v. 16. 06 2016 – 8 D 99/13.AK). Einen Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerwG, nach welchem unterhalb einer Schwelle von 0,3 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr die vom Vorhaben ausgehende Belastung von der Hintergrundbelastung nicht mehr eindeutig abgrenzbar sei und sich kein kausaler Zusammenhang zwischen Emission und Deposition nachweisen lasse (BVerwG Urt. v. 23.4.2014 – 9 A 25/12), sieht das OVG Münster im vorliegenden Fall nicht. Der dem BVerwG zugrundeliegende Sachverhalt habe lediglich ein einzelnes Vorhaben betroffen, bei dem keine Summationsbetrachtung erforderlich gewesen sei. Das BVerwG habe daher Bagatellschwelle und Abschneidewert auch eine einheitliche Irrelevanzschwelle von 3% zugrundegelegt (OVG Münster, Urt. v. 16. 06. 2016 – 8 D 99/13.AK).

Die Entscheidung des OVG Münster grenzt die Zulassungsmöglichkeit für Tierhaltungsanlagen erheblich ein. Die weitere Rechtsprechungsentwicklung bzgl. der konkreten Höhe des Abschneidekriteriums bleibt daher mit Spannung abzuwarten.