Schutz vor Bioaerosolen bei bloßem Gefahrverdacht?

Der Gesundheitsschutz kann Vorrang vor der Wirtschaftlichkeit der Maßnahme haben

Bioaerosole sind die Summe aller luftgetragenen Partikel, denen Pilze, Bakterien, Viren und/oder Polen sowie deren Zellwandbestandzeile und Stoffwechselprodukte – z.B. Endotoxine, Mykotoxine – anhaften. Immissions- oder Emissionswerte sieht die TA Luft insoweit nicht vor. Ob diese die Gesundheit des Menschen beeinträchtigen ist bislang auch nicht eindeutig geklärt. Der Wissensstand zu diesem Sachverhalt, der besonders durch zwei Studien (AABEL und NiLS) dokumentiert ist, macht deutlich, dass es bisher keine wissenschaftlichen Belege für eine allgemeingültige Gesundheitsschädigung gibt. Dies hat auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt und darauf verwiesen, dass die bloße Möglichkeit einer Gesundheitsschädigung durch Bioaerosole nicht ausreichen könne, um eine Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zu begründen (BVerwG, Beschl. v. 20. 11. 2014 – 7 B 27/14). Das Besorgnispotenzial sei lediglich über das Vorsorgegebot nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zu berücksichtigen (VGH München, Beschl. v. 27. 03. 2014 – 22 ZB 13.692 –, juris; OVG Münster, Urt. v. 30. 01. 2014 – 7 A 2555/11 –, juris; OVG Lüneburg v. 13. 03. 2012 – 12 ME 270/11 –, juris).

In welchem Umfang aber muss der Betreiber einer immissionsschutzrechtlichen genehmigungsbedürftigen Anlage Vorsorgemaßnahmen gegen schädliche Umwelteinwirkungen ergreifen? Dazu hat sich nun ebenfalls das BVerwG geäußert.
Der beklagte Landkreis hatte dem Kläger eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Hähnchenmastställen mit insgesamt 85 900 Plätzen erteilt. Aus Gründen der Vorsorge gab die Baubehörde dem Kläger auf, eine Abluftreinigungsanlage (ALR) in die Ställe einzubauen, um auf einem 250 m entfernt liegenden Grundstück eine Bioaerosol-Zusatzbelastung zu verhindern. Der Kläger richtete sich gegen diese Anordnung mit der Begründung, dass nicht geklärt sei, ob diese Belastung überhaupt eintreten werde und auch nicht mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sei, da Abluftreinigungsanlagen in der Geflügelhaltung nicht dem Stand der Technik entsprächen.
Das VG Oldenburg (Urt. v. 06. 02. 2013 – 5 A 4052/12) gab dem Kläger Recht und verpflichtete den Landkreis daraufhin, dem Kläger die Genehmigung ohne die Auflage zu erteilen. Diese Entscheidung wurde vom BVerwG wieder aufgehoben. Zwar hat das BVerwG die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur potenziellen Schädlichkeit von Bioaerosol-Emissionen (dazu auch BVerwG, Beschl. v. 20. 11. 2014 – 7 B 27/14 –, juris; OVG Münster, Beschl. v. 14. 01. 2010 – 8 B 1015/09 –, juris; VGH Kassel, Urt. v. 01. 04. 2014 – 9 A 2030/12 –, juris) und die Verneinung der Wirtschaftlichkeit der ALR in der Geflügelmast nicht beanstandet. Der Einbau einer Filteranlage zum Nachbarschutz könne aber auch dann geboten sein, wenn die Anlage noch nicht dem Stand der Technik entspricht. Eine Sperrwirkung für darüberhinausgehende Vorsorgemaßnahmen sei nicht anzunehmen (BVerwG, Urt. v. 23. 07. 2015 – 7 C 10.13).

Letztlich wird also der Anlagenbetreiber dazu verpflichtet, neben der Regelmaßnahme auch solche Maßnahmen zu überprüfen, die wirtschaftlich nicht dem Stand der Technik entsprechen. Das BVerwG deutet damit an, dass mögliche Gesundheitsrisiken Vorrang vor der Wirtschaftlichkeit der Maßnahme haben können. Die Vorsorge sei nicht darauf gerichtet, erkannte Gefahren abzuwehren, sondern bereits bei bloßem Gefahrenverdacht einzugreifen. Der Konzeption der Vorsorge entspricht es also, eine Sicherheitszone auch „unterhalb der Gefahrenschwelle“ zu schaffen (so auch Jarass, BImSchG, 11. Auflage 2015, § 5 Rn. 46; Roßnagel in Koch/Pache/Scheuing in GK-BImSchG, 36. EL Juni 2014, § 5 Rn. 450, 460, 510).