Änderung der BauO NRW – Bauantrag § 71 Abs. 1 BauO NRW

Neue gesetzliche Fiktion in § 71 Abs. 1 S. 2 BauO NRW und Rechtsschutzmöglichkeiten

Achtung: Mit der erneuten Änderung der Bauordnung NRW zum 01.01.2019 haben sich die Regelungen zum Bauantrag geändert. Von Bedeutung sind insbesondere die Regelungen des § 71 Abs. 1 S. 2 und 3 BauO NRW. Diese lauten wie folgt:

„Ist der Bauantrag unvollständig oder weist er sonstige erhebliche Mängel auf, fordert die Bauaufsichtsbehörde unter Nennung der Gründe die Bauherrschaft zur Behebung der Mängel innerhalb einer angemessenen Frist auf. Werden die Mängel innerhalb der Frist nicht behoben, gilt der Antrag als zurückgenommen.“

§ 71 Abs. 1 S. 3 BauO NRW normiert eine neue gesetzliche Fiktion, d.h. bei Fristablauf tritt die Rechtsfolge – hier die Bauantragsrücknahme – kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer diesbezüglichen Handlung bzw. Erklärung (in Form eines weiteren Bescheides) seitens der Behörde bedarf. Aufgrund der Fiktionsregelung ergeben sich Probleme im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des Antragsstellers. Dabei sind im Wesentlichen zwei Zeitpunkte zu unterscheiden:

  • Zeitpunkt nach Fristablauf: Sind die von der Behörde angeforderten Unterlagen bei Fristablauf nicht eingereicht worden, ist aufgrund der Fiktion die Antragsrücknahme bindend. Eine dahingehende Erklärung der Behörde ist nicht mehr erforderlich. Rechtsschutzmöglichkeiten sind nach Fristablauf nicht mehr möglich, sobald das der Befristung zugrundeliegende Ereignis (Ablaufdatum) eingetreten ist, da eine Einzelfallregelung mit Außenwirkung (§ 35 S. 1 VwVfG) in diesem Zeitpunkt nicht vorliegt.
  • Zeitpunkt vor Fristablauf: Die Rechtsschutzmöglichkeiten vor Fristablauf hängen zum einen vom Fristbeginn und zum anderen von der Rechtsnatur der zugrundeliegenden „Aufforderung zur Behebung von Mängeln“ durch die Bauaufsichtsbehörde nach § 71 Abs. 1 S. 2 BauO NRW ab.

Die Rechtsnatur der behördlichen Aufforderung zur Nachreichung fehlender Unterlagen i.S.d. § 71 Abs. 1 S. 2 BauO NRW ist seit der BauO-Änderung noch nicht abschließend geklärt. Einige sehen in der Aufforderung einen Verwaltungsakt gem. § 35 S. 1 VwVfG (NRW), andere verneinen einen Verwaltungsakt mangels Regelungswirkung gegenüber dem Bürger und nehmen einen Realakt an. Die Beurteilung des Rechtscharakters hat aber entscheidende Bedeutung für den Rechtsschutz des Bürgers gegen die behördliche Aufforderung:

  • Nach der Gesetzesbegründung (Gesetz vom 21.07.2018 – GV.NRW 2018 Nr. 19 S.421-454) ist die behördliche Aufforderung einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG NRW und kann mittels einer Anfechtungsklage angegriffen werden. Dabei ist zu beachten, dass diese frühzeitig direkt gegen den Aufforderungsbescheid innerhalb der Monatsfrist ab Bekanntgabe (hier: Zustellung) des Bescheides zu erheben ist, auch wenn die Einreichungsfrist für die Unterlagen noch nicht abgelaufen ist.
  • Spricht man der behördlichen Aufforderung den Regelungscharakter ab, kommt eine positive Feststellungsklage mit dem Ziel, die Vollständigkeit der Unterlagen feststellen zu lassen, in Betracht.

Um einen Verwaltungsakt anzunehmen, müsste die behördliche Aufforderung eine unmittelbare Rechtsfolge für den adressierten Bürger nach sich ziehen. Problematisch daran ist, dass im Fall des § 71 Abs. 1 S. 2 BauO NRW die Rechtsfolge (Antragsrücknahme) nicht schon durch die behördliche Aufforderung, sondern erst mit Fristablauf kraft Gesetzes nach § 71 Abs. 1 S. 3 BauO NRW eintritt. Die Rechtsfolge tritt also rein durch Zeitablauf ohne ein behördliches Zutun – demnach nicht unmittelbar aufgrund der Aufforderung – ein. Es könnte der behördlichen Aufforderung daher an der Regelungswirkung fehlen.

Unabhängig von der Beurteilung des Rechtscharakters ergeben sich in beiden o.g. Fällen Fristenprobleme zum einen bzgl. der Klageerhebung, zum anderen im Hinblick auf eine mögliche Fristverlängerung.

Bei der Anfechtungsklage muss die Monatsfrist beachtet werden, die Feststellungsklage unterliegt keiner Frist. § 71 Abs. 1 S. 2 BauO NRW stellt jedoch die Ablauffrist für das Einreichen von Unterlagen in das Ermessen der Behörde, d.h. diese kann den Zeitraum frei bestimmen und muss nur die Angemessenheit der Frist beachten. Einerseits könnte die Behörde zur Nachreichung der fehlenden Unterlagen eine Ablauffrist von 2 Wochen anordnen. In diesem Fall wäre zumindest die Monatsfrist der Anfechtungsklage aufgrund der nach Fristablauf eintretenden Bestandskraft der behördlichen Aufforderung verkürzt. Andererseits sieht § 71 Abs. 2 S. 1 BauO NRW eine Höchstfrist von 2 Monaten vor. In diesem Fall muss zumindest die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats erhoben werden. Dies hat eine „provisorische“ Klageerhebung zur Folge, obwohl die von der Behörde angesetzte Zweimonatsfrist noch nicht abgelaufen ist.

Im Hinblick auf eine mögliche Fristverlängerung kommt es wiederum entscheidend auf den Zeitpunkt vor und nach Fristablauf an.

  • Vor Fristablauf dürfte ein Antrag auf Fristverlängerung nach § 31 Abs. 7 S. 1 VwVfG (NRW) unproblematisch gestellt werden können.
  • Nach Fristablauf ermöglicht § 31 Abs. 7 S. 2 VwVfG (NRW) eine sog. rückwirkende Fristverlängerung „insb., wenn es unbillig wäre, die durch den Fristablauf eingetretenen Rechtsfolgen bestehen zu lassen“. Solange die behördliche Frist nicht unangemessen ist, d.h. bspw. eine zu kurze Frist angeordnet wurde, ist im Fall des § 71 Abs. 1 S. 3 BauO (NRW) eine rückwirkende Fristverlängerung problematisch, weil dessen Fiktion kraft Gesetzes eintritt. Das Zusammenstellen der Unterlagen ist ein notwendiger Mitwirkungsakt des Antragsstellers, sodass die durch einen neuen Antrag eintretende Verzögerung in seine Sphäre fallen dürfte. Etwas anderes könnte dagegen bei teureren Bauprojekten gelten. Die Ablauffrist des § 71 Abs. 1 S. 3 BauO NRW könnte daher einer rückwirkenden Fristverlängerung nach § 31 Abs. 7 S. 2 VwVfG (NRW) entgegenstehen. Deshalb muss auch an die rechtzeitige Fristverlängerung gedacht werden.

Es erscheint nach der ungeklärten Rechtslage hinsichtlich des Rechtscharakters der behördlichen Aufforderung in beiden o.g. Fällen eine Feststellungsklage mit dem Ziel, die Vollständigkeit der Unterlagen gerichtlich feststellen zu lassen, am rechtsschutzintensivsten. Sie schützt den Antragssteller auch im weiteren Verfahren vor einer erneuten Aufforderung seitens der Behörde, da die rechtzeitig erhobene Feststellungsklage die Vollständigkeit der Unterlagen einmal gerichtlich feststellt und das Feststellungsurteil die Behörde auch im weiteren Verwaltungsverfahren bindet.

Im Ergebnis ergeben sich viele ungeklärte Fragen im Hinblick auf die Neuregelung des § 71 BauO NRW. Für den Antragssteller ist insbesondere wegen der Fiktionsregelung äußerste Vorsicht geboten. Es besteht insbesondere die Gefahr, Rechtsschutzmöglichkeiten und Fristen zu verpassen. Der Antragssteller muss sehr frühzeitig und ggf. auch nur provisorisch Klage gegen die behördliche Aufforderung erheben, um das Eintreten der Fiktionswirkung und die dadurch kraft Gesetzes eintretende Antragsrücknahme zu verhindern. Dies erfordert erhöhte Aufmerksamkeit des Antragsstellers. Die Rückwirkungsfiktion soll nach der Gesetzesbegründung dem Grundgedanken der verstärkten Eigenverantwortung der Bauherrschaft Rechnung tragen. Mit Blick auf die Rechtsmittelfrage bedeutet diese jedoch einen erheblichen Mehraufwand und ein erhöhtes Aufmerksamkeitsbewusstsein seitens der Bauherrschaft. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Rechtslage zu § 71 BauO NRW bleiben die Rechtsschutzmöglichkeiten undurchsichtig und sollten unter frühzeitiger Hinzuziehung eines Fachanwalts schon bei Bauantragsstellung rechtlich abgesichert werden.