Mit Urteil vom 15.06.2017 – 1 LC 17/16 – hat das OVG Lüneburg beschlossen, dass die Überplanung einzelner, außerhalb eines Bebauungszusammenhangs gelegener Flächen mit Sondergebieten für eine in Rede stehenden Nutzung als gewerbliche Tierhaltung nicht zu einem Ausschluss der Privilegierung des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB führt.
Der Kläger begehrt die Baugenehmigung für eine Anlage zur gewerblichen Tierhaltung im Außenbereich. Er beabsichtigt den Neubau eines Sauenstalles, den Anbau eines Ferkelzuchtstalles, den Neubau eines Güllehochbehälters und die Aufstellung eines Futtersilos nebst Nutzungsänderung sowie den Anbau eines Heizung- und eines Futtermittellagerraums auf dem Gelände der Hofstelle. Die Tierplatzzahl seines Betriebes soll damit auf insgesamt 465 Sauen, 94 Sauen mit Ferkeln und 2.440 Aufzuchtferkel steigen. Über ausreichende, langfristig gesicherte Flächen, auf denen das Futter für diesen Viehbestand zum überwiegenden Teil produziert werden kann, verfügt der Kläger nicht.
Der Außenbereich der Gemeinde ist überwiegend von landwirtschaftlicher und gewerblicher Tierhaltung geprägt. Zur Steuerung der Tierhaltung praktiziert die Gemeinde das von ihr sog. „C. Model“. Dieses beinhaltet einen beschlossenen „Kriterienkatalog“, in dem die Gemeinde bestimmte Voraussetzungen festgehalten hat, die Erweiterungsflächen für Tierhaltungsanlagen erfüllen müssen. Insbesondere werden mit Blick auf die Nachbarschaft bestimmte Abstände geregelt. Werden an die Gemeinde neue Errichtungs- oder Änderungsanträge einer Tierhaltungsanlage herangetragen, die dem Kriterienkatalog entsprechen, setzt sie im Bebauungsplan ein Sondergebiet für gewerbliche Tierhaltung fest und ändert gleichzeitig den Flächennutzungsplan.
Es wird darüber gestritten, ob die Praxis der beigeladenen Gemeinde, auf Wunsch und bei Erfüllung eines bestimmten Kriterienkatalogs Sondergebiete für solche Anlagen auszuweisen, der Genehmigung einer solchen Anlage über den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB entgegensteht. Die Gemeinde lehnte den vom Kläger gestellten Bauantrag mit der Begründung ab, dass das Vorhaben weder nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB mangels hinreichender Futtergrundlage noch nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert ist, da das Vorhaben nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Vorschrift nur dann im Außenbereich geführt werden soll, wenn es nicht im Innenbereich oder in von der Gemeinde festgesetzten Baugebieten zulässig sei. Die Gemeinde habe hier solche Sondergebiete festgesetzt, so dass der Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB unanwendbar sei.
Das OVG Lüneburg urteilte entgegen dieser von der Gemeinde vertretenen Auffassung, dass das Vorhaben des Klägers nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert ist. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Vorhaben der gewerblichen Tierhaltung jedenfalls dann, wenn für sie weder Innenbereichs- noch Plangebiets- oder nach § 33 BauGB zu beurteilenden Flächen zur Verfügung stehen, wegen ihrer nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung nur im Außenbereich verwirklicht werden sollen. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB stelle einen Auffangtatbestand für solche Vorhaben dar, die von den übrigen Nummern des § 35 Abs. 1 BauGB nicht erfasst werden und nach den Grundsätzen städtebaulicher Ordnung, wenn überhaupt, sinnvoll nur im Außenbereich ausgeführt werden können, weil sie zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zwecks auf einen Standort außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile angewiesen sind. Kann ein Vorhaben auf einen Standort im Innenbereich verwiesen werden, ist es nicht im Sinne der genannten Rechtsprechung auf die Inanspruchnahme des Außenbereichs angewiesen. Das hat zur Folge, dass die Gemeinden in gewissen Umfang steuern können, welche Vorhaben in ihrem Außenbereich privilegiert sind.
Dabei schließen die bereits in Kraft getretenen Bebauungspläne der Gemeinde, in denen Sondergebiete für gewerbliche Tierhaltung festgesetzt sind, jedoch nicht aus, dass das Vorhaben des Klägers nur im Außenbereich geführt werden soll. Die Überplanung einzelner, vor wie nach der Planung außerhalb eines Bebauungszusammenhangs gelegener Flächen mit Sondergebieten genügt zum Ausschluss des Privilegierungstatbestandes des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht. Das Bundesverwaltungsgericht wollte dahingehend schon in früheren Urteilen einer auf bestimmte Vorhaben zugeschnittenen „Briefmarkenplanung“ nach dem Vorbild der hiesigen Gemeinde entgegenwirken. In der Sache holt die Gemeinde mit ihrer Planung nicht die Tierhaltungsanlage in den Innenbereich, sondern gliedert ihren Außenbereich. Dies ist jedoch nicht von der Funktion des § 35 Abs. 1 BauGB umfasst.
Intensivtierhaltungsbetriebe sollen daher allenfalls auf Gewerbe- oder Industriegebiete in einem größeren Bebauungszusammenhang verwiesen werden. In diesem Punkt bestätigt das OVG Lüneburg die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der Landwirte als Betreiber von gewerblichen Tierhaltungsanlagen ohne Prüfung etwaiger anderer Potenzialgebiete in Gewerbe- und Industriegebiete verwiesen werden können. Daraus ergibt sich allerdings die Problematik, dass gewerbliche Tierhaltungsbetriebe aufgrund ihrer Größe und ihrer Immissionen auch in diese Gebiete nicht wirklich hineinpassen.