Urteil des EuGH – Absichtliche Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen in der Umwelt (Mutagenese)

Mit Urteil vom 25. Juli 2018 – C-528/16 – hat der EuGH eine neue Leitentscheidung zu GVO (genetchnisch veränderten Organismen) getroffen. In dieser ging es um Auslegungsfragen zu den Richtlinien 2001/18/EG über absichtliche Freisetzungen genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und 2002/53/EG über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten.

Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH war die Weigerung des französischen Premierministers, eine nationale Vorschrift aufzuheben, die Organismen, die durch Mutagenese gewonnen wurden, grundsätzlich nicht als genetische Veränderung im Sinne eines GVO beschrieb. Mutagenese wird als Methode in der medizinischen und biologischen Forschung eingesetzt, um bestimmte Genfunktionen aufzuklären. Bei der klassischen Mutagenese wird die spontane Mutationsrate im Erbgut von Lebewesen erhöht, indem sie Erbgut-verändernden (mutagenen) Substanzen oder Strahlen ausgesetzt werden. Ebenso stritten die Parteien über die Frage, den Anbau und die Vermarktung von durch Mutagenese gewonnenen herbizidtoleranten Rapssorten zu verbieten.

Der EuGH entschied, dass Organismen, die durch Verfahren/Methoden der Mutagenese gewonnen werden, GVO i.S.d. Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2001/18/EG sind. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie ist dahingehend auszulegen, dass nur diejenigen durch Verfahren/Methoden der Mutagenese gewonnenen Organismen, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt werden und seit langem als sicher gelten, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen sind. Gleichermaßen ist der Art. 4 Abs. 4 der RL 2002/53/EG auszulegen. Diese Richtlinie gilt für die Zulassung bestimmter landwirtschaftlicher Arten zu einem gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten, deren Saat- oder Pflanzengut gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht werden darf.
Diejenigen Organismen aus Verfahren/Methoden der Mutagenese dagegen, die seit dem Erlass der RL erst entstanden sind oder sich hauptsächlich danach entwickelt haben, sind vom Anwendungsbereich beider Richtlinien erfasst. Bei diesen seien die Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit bislang noch nicht mit Sicherheit bestimmbar, so der EuGH. Dabei handelt es sich insbesondere um die neuen Züchtungsverfahren Crispr/Cas9. Diese Genscheren sind in der Lage, an bestimmte Stellen in der DNA anzudocken, um dort gezielte Genveränderungen vorzunehmen. Während die Landwirtschaft von dieser Praxis profitiert, ist eine Anwendung in der menschlichen DNA – wegen der Unsicherheit der Verfahren – äußerst umstritten.

Weiterhin hat der EuGH zu Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/18/EG klargestellt, dass den Mitgliedsstaaten durch diesen Artikel nicht die Befugnis genommen wird, auch die oben genannten vom Anwendungsbereich ausgeschlossenen Organismen, dem Anwendungsbereich der Richtlinie dennoch zu unterwerfen. Insoweit wird den Mitgliedsstaaten ein mitgliedstaatliches Ermessen eingeräumt, da der Unionsgesetzgeber diese Organismen zwar von dem Anwendungsbereich beider Richtlinien ausgeschlossen, weitergehend für diese aber keine eigene Regelung getroffen hat. Dabei muss allerdings übriges Unionsrecht – insbesondere die Grundfreiheit aus Art. 36 AEUV über die Warenverkehrsfreiheit – beachtet werden.

Vergleichen Sie dazu auch AGCT-Gentechnik.report 7-8/2018 und AGCT-Gentechnik.report 11/2018

Stellungnahme des BDP

In einem Interview in der Top Agrar kritisiert Stephanie Franck vom BDP (Bundesverband deutscher Pflanzenzüchter) das EuGH-Urteil zu den neuen Züchtungstechnologien (Crispr/Cas9). Die Einstufung als GVO gefährde den Zuchtfortschritt. Europa büße an Innovation ein. Vor allem mittelständischen Züchtern werde wegen der strengen Regularien des Gentechnikrechts der Zugang zu diesen Züchtungsmethoden erschwert. Dadurch entstehe ein Nachteil für europäische Züchter gegenüber anderen außerhalb der EU. Auch drohe eine Abwanderung innovativer Unternehmen in das außereuropäische Ausland, die den Fortschritt des noch als Spitzenreiter im Bereich der Züchtungstechnologien geltenden europäischen Mittelstands zukünftig gefährden könne. Zu erwarten seien Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Agrarräumen.

Insgesamt sind die Pflanzenzüchter der Auffassung, dass die neuen Züchtungsmethoden von der klassischen Gentechnik zu trennen sind. Durch erstere werden Organismen entwickelt, die sich von denen im Wege der durch natürliche Kreuzung und Selektion Gewonnenen nicht unterscheiden. Nach Ansicht der Pflanzenzüchter sollten diese dann auch gleichbehandelt werden. Der BDP will nun Handlungsoptionen diskutieren, sieht aber insbesondere die Notwendigkeit eines neuen Gentechnikrechts. Dabei müsse die Rolle der Züchtung in der Gesellschaft breit diskutiert werden. Man benötige ein gesamtgesellschaftliches Verständnis für die Züchtungstechnologie.

Stellungnahme der ZKBS

Aus Sicht der ZKBS bezieht das EuGH-Urteil den naturwissenschaftlichen Kenntnisstand nicht mit ein, indem es die vorangegangenen Bewertungen anerkannter Institutionen außer Acht lässt . Bei den im EuGH-Urteil behandelten neueren Genome Editing-Techniken handelt es sich nach Auffassung der ZKBS nicht gänzlich um GVO. Die ZKBS hält die Einordnung minimaler Genomveränderungen – sog. Oligonukleotid-gesteuerten Mutagenese – als GVO für bedenklich, da ihre Endprodukte von einem natürlichen oder durch konventionelle Mutagenese erzeugten Organismus nicht zu unterscheiden sind. Diese würden zukünftig den strengen Regularien und Verfahren des Gentechnikrechts unterliegen, obwohl für sie bereits aufwendige und mehrjährige Zulassungsverfahren vorhanden seien.

Die neuen Verfahren seien unverzichtbar für die Pflanzenzüchtung und die Landwirtschaft, da sie durch gezielte Veränderung der Genome des Zielorganismus einen effizienteren und schnelleren Züchtungsfortschritt erzielten. Eine solche sog. prozessbasierte Risikobewertung in Europa stünde der gängigen produktbasierten Risikobewertung großer Agrarländer entgegen. Dies könnte zu Nachteilen im internationalen Handel sowie Problemen bei der Kontrolle durch die zuständigen europäischen Zollbehörden führen.

Die ZKBS fordert daher mit Nachdruck eine Anpassung des europäischen Gentechnikrechts an den heutigen Stand der Wissenschaft. Dieser beruhe noch auf dem Wissensstand von 1990.