Die Genehmigung von Leitungsvorhaben für Wasserstoff betrifft sowohl den Neubau von Wasserstoffleitungen als auch die Umnutzung vorhandener Leitungsinfrastruktur für Wasserstoff (insb. Erdgasleitungen oder Leerrohre). Dabei ist zwischen Leitungsvorhaben, die zum Wasserstoff-Kernnetz gehören und weiteren Leitungen (einzelnen Wasserstoffnetzinfrastrukturen), bspw. auf Verteilernetzebene, unbedingt zu unterscheiden.
Leitungsvorhaben des Wasserstoff-Kernnetzes nach § 28q EnWG
Die Genehmigung von Leitungsvorhaben, die zum Wasserstoff-Kernnetz gehören, erfolgt in einem „gestuften“ Verfahren (sog. gestufte Planung).
- Stufe 1: Genehmigung der Planung und Errichtung des Wasserstoff-Kernnetzes durch die Bundesnetzagentur (BNetzA). Das auf Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) vorgeschlagene Wasserstoff-Kernnetz hat die BNetzA bereits mit Entscheidung vom 22.10.2024 genehmigt. Die Genehmigung ist am 30.10.2024 im Amtsblatt der BNetzA veröffentlicht worden (vgl. Amtsblatt 21/2024 BNetzA, S. 1690).
- Stufe 2: Das konkrete Wasserstoff-Leitungsvorhaben wird anschließend in einem gesonderten Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit im Einzelfall genehmigt.
Im Rahmen der Stufe 1 ist bereits fraglich, wer beschwerdebefugt ist und sich ggf. gegen die Genehmigung des Wasserstoff-Kernnetzes wehren könnte.
Beschwerdebefugt sind gem. § 75 Abs. 2 EnWG die am Verfahren vor der BNetzA Beteiligten. Dies sind zunächst die FNB als Antragsteller (vgl. § 66 Abs. 2 Nr. 1 EnWG) sowie Vorhabenträger, die im Verfahren beigeladen worden sind oder ihr Einverständnis nach § 28q Abs. 7 S. 7 EnWG erklärt haben, als weitere Adressaten der Genehmigung (vgl. § 66 Abs. 2 Nr. 2 EnWG). Sonstige Personen und Personenvereinigungen sind beschwerdebefugt, sofern sie von der BNetzA auf Antrag zum Verfahren beigeladen hat (vgl. § 66 Abs. 2 Nr. 3 EnWG). Bei der Genehmigung des Wasserstoff-Kernnetzes ist demnach von einem „(Sammel-)Verwaltungsakt“ auszugehen, da sich die Genehmigung an einen im Zeitpunkt der Entscheidung feststehenden Adressatenkreis richtet.
Dritte (wie bspw. Grundstückseigentümer), die nicht am Verfahren beteiligt waren, sind im Rahmen einer Auslegung des § 66 Abs. 2 EnWG im Lichte des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nur ausnahmsweise beschwerdebefugt, wenn die angegriffene Entscheidung sie in ihren subjektiven Rechten verletzt. Der Dritte muss also in seinem geschützten Rechtskreis unmittelbar und individuell betroffen sein (BGH RdE 2019, 504 = EnWZ 2019, 403 Rn. 15 – Lichtblick; RdE 2011, 59 = BeckRS 2010, 28381 Rn. 16 – GABi Gas). In diesem Fall entfaltet eine Genehmigung Dritten gegenüber sog. Regelungswirkung. Da die Bestimmung des Wasserstoff-Kernnetzes gem. § 28q Abs. 3 S. 7 iVm Abs. 8 S. 3 EnWG ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolgt, dürfte die Geltendmachung von subjektiven Rechten Einzelner im Rahmen der Genehmigung des Wasserstoff-Kernnetzes regelmäßig ausgeschlossen sein. Zwar kann § 28q Abs. 8 S. 3 EnWG wegen Art. 19 Abs. 4 GG (Gebot des effektiven Rechtschutzes) den Rechtschutz des Einzelnen nicht vollständig begrenzen, wirkt sich jedoch mittelbar auf diesen aus, da sie den fehlenden Drittschutz der Kernnetz-Genehmigung bereits festlegt. Hinzukommt, dass die BNetzA auf der ersten Stufe nicht das konkrete Leitungsvorhaben einschließlich Leitungsverlaufs genehmigt, sondern lediglich das „Potenzial“ bestehender Leitungsinfrastruktur für die Umnutzung auf Wasserstoff bzw. deren Neubau.
Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass die Öffentlichkeit, insb. Grundstückseigentümer und Planbetroffene, Einwendungen gegen ein Leitungsvorhaben für Wasserstoff erst auf der Stufe 2 im konkreten Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsverfahren erheben können. Dort können insbesondere Einwände gegen den konkreten Verlauf der Wasserstoffleitung über Grund- bzw. Flurstücke geltend gemacht werden.
Welches Verfahren für ein Leitungsvorhaben anzuwenden ist, richtet sich nach §§ 43l, 113c, 43f EnWG:
Zwingende Planfeststellung:
- Errichtung, Betrieb und Änderung von Wasserstoffleitungen sowie Anbindungsleitungen von Anlandungsterminals für Wasserstoff mit einem Leitungsdurchmesser von mehr als 300 Millimetern;
- für die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gilt Anlage 1 Nr. 19.2 UVPG (Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung);
- Durchführung eines Raumordnungsverfahrens für ein Wasserstoffnetz mit einem Durchmesser von mehr als 300 Millimetern erforderlich, wenn das Vorhaben im Einzelfall raumbedeutsam ist und eine überörtliche Bedeutung hat (vgl. § 43l Abs. 7, 2. Var. EnWG).
Planfeststellung auf Antrag des Vorhabenträgers:
Errichtung, Betrieb sowie Änderung von Wasserstoffleitungen mit einem Leitungsdurchmesser von 300 Millimetern oder weniger.
Anzeigeverfahren gem. § 43f, § 113c EnWG:
- Unter bestimmten Voraussetzungen bei Änderungen oder Erweiterungen von Gasversorgungsleitungen zur Ermöglichung des Transports von Wasserstoff (sog. „Umstellungsvorhaben“ i.S.d. § 113c EnWG);
- UVP-Prüfung dann nicht erforderlich;
- Behördliche Zulassungen für die Errichtung, die Änderung und den Betrieb einer Gasversorgungsleitung für Erdgas einschließlich der für den Betrieb notwendigen Anlagen (mit Ausnahme der nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigungsbedürftigen Anlagen) gelten dabei auch als Zulassung für den Transport von Wasserstoff.
Die vorstehende Reihenfolge gilt auch für Maßnahmen bei Errichtung und Betrieb sowie bei Änderungen und Erweiterungen von Gasversorgungsleitungen einschließlich der Anbindungsleitungen von LNG-Terminals sowie Nebenanlagen, die der Vorbereitung auf einen Transport von Wasserstoff dienen (vgl. § 43l Abs. 8 EnWG).
Da die anlagenbezogenen Regelungen des BImSchG von § 43l EnWG unberührt bleiben, bedürfen bspw. Elektrolyseure und Verdichteranlagen mit einer Feuerungswärmeleistung von mehr als 1 MW, die nach dem BImSchG iVm Ziff. 4.1.12, Ziff. 1.4.1.1 und Ziff. 1.4.1.2 der Anlage 1 der 4. BImSchV weiterhin einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.
Gem. § 43l Abs. 7 EnWG erfasst die Außenbereichsprivilegierung in § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB auch Wasserstoffnetze, sodass bspw. die Errichtung von baulichen Anlagen für Wasserstoffnetze (z.B. Gasdruckregel- und Messstationen, Wasserstoffeinspeiseanlagen) auch im Außenbereich möglich ist.
Einzelne Wasserstoffnetzinfrastrukturen nach § 28p EnWG
Sind einzelne Wasserstoffnetzinfrastrukturen weder Teil des Wasserstoff-Kernnetzes noch gem. § 15d Abs. 3 S. 1 EnWG bestätigt, ist im Einzelfall die Prüfung der Bedarfsgerechtigkeit durch die BNetzA erforderlich.
Fazit
Das gestufte Verfahren sowie die Erforderlichkeit der Planfeststellung ist bei der Genehmigung von Leitungsvorhaben für Wasserstoff, die zum Wasserstoff-Kernnetz gehören, stets in den Blick zu nehmen. Hiernach richtet sich, ob und in welchem Umfang Einwendungen gegen das Leitungsvorhaben für Wasserstoff, insb. von Planbetroffenen und Grundstückseigentümern, im Rahmen der Zulassungsentscheidung überprüfbar sind. Entschädigungsangebote des Vorhabenträgers bei Leitungsvorhaben sollten vor diesem Hintergrund genaustens geprüft werden. Hier ist in der Regel anwaltlicher Rat erforderlich.
Lesen Sie auch unseren Fachbeitrag zur Bundesfachplanung – Gestuftes Verfahren nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) – Dr. Kauch und folgen Sie uns gerne auf LinkedIn unter Dr. Kauch & Ibrom Rechtsanwälte | LinkedIn.
04.12.2024 Dr. Petra Kauch / Katrin Ibrom